Herkunft und Geschichte

Unsere heutigen Hauskaninchen stammen vom europäischen Wildkaninchen ab und gehören im zoologischen System trotz der ständig nachwachsenden Nagezähne nicht wie oft vermutet zu den Nagetieren, sondern der Familie der "hasenartigen" an. Auch wenn sie den Hasen in vielerlei Hinsicht ähneln, dürfen Hasen und Kaninchen nicht miteinander verwechselt werden, sie sind nicht einmal miteinander verwandt!


Das europäische Wildkaninchen war vor mehr als 3.000 Jahren auf der Iberischen Halbinsel, das heutige Spanien und Portugal, beheimatet und wurde dort erstmals entdeckt. Mit Hilfe des Menschen verbreiteten sie sich rasch über die ganze Welt. Sie dienten zunächst hauptsächlich der Fleischgewinnung, seit dem 19. Jahrhundert verlagerte sich der Züchtungsschwerpunkt und wichtig wurden Körpermerkmale wie Größe, Fellfarbe und Ohrenform.

 

Kleine graue Schatten hoppeln dahin, und die sehen aus wie kleine Hasen, aber sie sind schneller und flitzen Haken schlagend hintereinander her. Dann wieder mühen sie mümmelnd den frischen Klee und das kurze Gras der Wiese. Zum Dank düngen sie es gleich hinterher. Das macht sie auf dieser Wiese recht nützlich, denn sie pflegen die Landschaft und fressen doch keinem etwas weg. Im Fernglas sehen sie aus wie Hasen, doch sind sie deutlich kleiner und wiegen nur die Hälfte. Auch ihre Löffel-Ohren sind um ein Drittel kürzer, runder und ohne schwarze Spitze, wie sie die der Feldhase hat.

 

Wildkaninchen sehen mit ihrer Wackelnase und dem frechen Schnurrbart eigentlich immer freundlich aus. Sie haben ausdrucksvolle Kulleraugen, weil sie dämmerungsaktiv sind, und sie scheinen stets zu lächeln, weil sie gern verschmitzt die Schnurrhaare verziehen. Wenn sie dann auch noch Männchen machen, dann möchte man sie wie leibhaftige Ostertiere hochheben und gründlich knuddeln. Das hehre Bild vom Osterhasen verblasst, wenn man sie quicklebendig wirklich in der Hand hat, denn dann können sie mit ihren Krallen mächtig kratzen und mit den scharfen Nagezähnen ganz ekelhaft beißen. Doch dazu kommt es selten, denn sie sind gewandte Renner, denen auch mit Salzprise aufs Puderquastenschwänzchen kaum beizukommen ist, weil sie beim Rennen noch mächtig Haken schlagen.

Mit ihren Balz- und Rennspielen beginnen sie schon Wochen vor der Hochzeit. Es ist wahrlich Hochgenuss, ihnen dabei zuzusehen. Sie können unverschämt schnell flitzen, mitten im Rennen das Hinterteil hoch- und herumwerfen, damit sie ratschbumm nach links oder rechts im Zickzack-Kurs Haken schlagen, eben ganz so wie Karnickel. Das versuchen sie auch immer dann, wenn sie erschreckt zum nächsten Erdbau flüchten wollen. All die vielen, die gerne Kaninchen essen möchten, staunen, wenn sie an einem dieser Haken über ihr Ziel hinausrennen und die Spur des ersehnten Löffelbratens verlieren. Ehe sie die gierend schnuppernd wiederfinden, hat der schon längst ein Erdloch gefunden und ist hinein geschlieft. Da ihre Augen eine Rundumsicht von 360 Grad ermöglichen, können sie auf der Flucht stets den hinter ihnen laufenden Feind im Auge behalten und gezielt ihre Haken schlagen.

 

Dabei ist das Kaninchen für alle Nasentiere eine gerne und oft verfolgte Beute. Sie riechen gar zu gut und gehen mit Reviermarkierungen recht großzügig um. So wie der Kiebitz virtuos die Luft beherrscht, ist das Wildkaninchen der gewandteste und schnellste Renner auf der Erde. Wer als Jäger Wild-kaninchen jagen will, der muss schon exzellent schießen können, um den kleinen Löffelbraten zu erlegen, denn für viele ist er unter dem Wildbret die Spitze aller Delikatessen und meist so reichlich vorhanden, dass er kaum auszurotten ist, obwohl man jedes Jahr in Deutschland so um die 800.000 bis zu einer Million erlegt. Da scheint es ärgerlich zu sein, dass sie vorne zu schnell und hinten zu kurz sind, wie Hermann Löns es einst beschrieb. Wirklich gefährlich werden kann ihm der mit Flinte jagende Mensch kaum. Gegen alle übrigen bösen Feinde haben

 

Wildkaninchen eine vortreffliche Waffe, die sie friedlich und bedenkenlos einsetzen. Sie vermehren sich im sprichwörtlichen Sinne wie die Karnickel. Ihre hohe Vermehrungsrate ist der Ausgleich für ihre kurze Lebenserwartung. Denn das Höchstalter von 10-12 Jahren erreichen immer nur einzelne Tiere.

 

Wurf auf Wurf der Kinder wegen


Fruchtbar, wie sie sind, gehen ihre Januar-Rangeleien vom Februar zum März hin nahtlos in eine leidenschaftliche Rammelei über. Nach 28-31 Tagen Tragezeit bekommen sie dann bis zu 7 blinde nackte rosa Babys, typische Nesthocker. Beim Feldhasen können die Jungen schon sehen und hoppeln, denn sie sind Nestflüchter. Ein wesentlicher Unterschied! Jede Kaninchenmutter wird 5-7-mal hitzig. Ihr Kaninchenjahr endet etwa Ende Juli/Anfang August. Nach drei Wochen verlassen die Jungen erstmals den Bau, und eine Woche später endet die Säugezeit. Jetzt müssen sie alleine mümmeln. Wenn in warmen Ländern mit günstigem Wetter der Kindersegen einsetzt und drei Dutzend Kaninchenmütter plötzlich ihre Familie mit auf die Wiese bringen, gleicht die bald einer Schokoladenfabrik zu Ostern. Aus den drei Dutzend können theoretisch 1260 werden. Doch schaffen es davon schon einmal 280 nicht bis zur Entwöhnung. Feinde fressen 250, Krankheiten schlagen zu, usw., und am Ende bleiben gerade 45 Jungkaninchen übrig. Wenn der erste Wurf im September geschlechtsreif wird, ist das Jahr der Hochzeiten bei Kaninchens längst gelaufen. Erst im nächsten Jahr werden heurige Jungtiere beim Rammeln mit dabei sein, kaum jedoch im Jahr der Geburt.

 

Die Karnickel-Rammelei bleibt nicht ohne Folgen


An der Römersschanze und dort wo am Hang der Moräne die alte Sandgrube im Walde liegt, wohnen die Wildkaninchen. Ihre Burg ist schon kein Bau mehr, sondern eine Kolonie. Der Waldboden ist weithin durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Am Rand der Grube und im Wald zwischen Baumwurzeln, ist der Boden ein einziger Bau. Etwa hundert Löcher führen in die Gänge in diesem einstigen Dachsbau, und alle Tunnel führen irgendwo in gemütliche Wohnräume. Ganze Sandhalden rollen den Hang herab. Für den Tierfoto- grafen ist es schwierig zu entscheiden, wo er die Kaninchen erwarten will. Ich wähle einen Baumstumpf als Sitz. Von dort kann ich weithin viele der Röhren überblicken, und auch ihr Kaninchen-Straßen-Netz im Wald, das die Kaninchen auf ihrem Weg zum Äsungsplatz auf der großen Liegewiese benutzen. Bei Kaninchen gibt es immer Überraschungen. Darum muss ich die Kamera dauernd schussbereit sein und habe den Finger am Auslöseknopf, denn jeden Augenblick kann aus einem der Baue ein Kaninchen auftauchen und forthoppeln. In leuchtenden Lichtkringeln stiehlt sich die Sonne durch den Hochwald auf den Waldboden. Im Gegenlicht lässt sie grün die Hollerbüsche und Brombeer-Ranken aufglühen. Ein Waldschmetterling, das Waldbrettspiel, flattert einsam durch den Wald und sucht sich einen wärmenden Sonnenkringel, um zu ruhen. Im scharfen Lichtstrahl glitzern Tanzmücken auf. In den Brombeerblüten aber summen die Bienen und mit tiefem Bass die Hummeln. Draußen auf den Wiesen ist es hell geworden. Das stört die alten Wildkaninchen, und sie streben auf ihren Fernwechseln dem Wald zu, weil sie lieber heimlich sind. In heller Sonne wären sie nie so alt und weise geworden. Immer wieder naht ein altes Kaninchen auf dem Wechsel, und sie schliefen flink doch ohne Hast in den Bau, denn die Methusalems leben kaum noch gefährlich. Ein Kaninchen kommt mit einem dicken Grasschnurrbart in der Schnauze. Nein, ein Osternest will sie nicht damit bauen, wohl aber ein Nest für ihre Babys, die sie in den nächsten Tagen erwartet. Sie wird das Grasnest mit weicher "Häschenwolle" ausschmücken, die sie von ihrer Brust und dem Bauch rupft. Ihr Nest ist sicher tief unter der Erde in einem Kessel. Sie ist besorgt, als ich die Kamera schwenke, kehrt um und hoppelt zurück Richtung Feld. Aber dann kommt sie zurück mit ihrem Grasbüschel und schlieft sofort ein.

 

Woher kommen die Wildkaninchen?


Kaninchen lieben die südliche Sonne und Wärme. Als die letzte Eiszeit zu Ende ging, waren sie verschwunden und hatten nur in Spanien überlebt. Glaubt man der Theorie, dann kommen sie oberhalb 300 - 400 m nicht vor. Das stimmt aber schon in Germering nicht, wo die Kolonie über 500 m Meereshöhe liegt.

 

Schon Phönizier und Römer liebten Kaninchenfleisch und haben daher schon um 1100 v. Chr. die Wildkaninchen rund um das ganze Mittelmeer verbreitet. Damals hat man sie in "Leporarias" gehalten. Das waren Gärten mit einer Mauer. Nach England, Frankreich und Deutschland sind die "Lapirarien" durch Klosterbrüder gebracht worden. Ganz sicher sind die Urahnen von Ausreißern aus diesen Gärten die Urahnen unserer Wildkaninchen. Der älteste Nachweis für Deutschland entstammt dem Jahr 1149, als das Kloster Corvey in Westfalen zwei Pärchen vom Abt des Klosters in Solignac aus Frankreich geschenkt bekam. Seither haben sie sich über das ganze Land verbreitet, wenn es dort nur halbwegs mild und wild ist. Vorausgesetzt, es gibt weiche Böden, in denen sie ihre Baue buddeln können. Aber sie behelfen sich auch mit Komposthaufen und Strohmieten, wohnen unter Holzhütten und in Scheunen oder auch einfach im dichten Gebüsch.

 

Auch ohne Jagd bricht der Bestand zusammen


Aber auch damit wächst ein Bestand, wenn er -wie hier im Erholungsgelände - wenig bejagt wird. Und eines Tages bricht er zusammen. In dieser Kolonie starben fast alle Kaninchen im letzten Jahr, wahrscheinlich an der Myxtomatose. Diese Viruskrankheit befüllt Haus- und Wildkaninchen, wenn Flöhe die Viren übertragen. Auch ehemals starke und gesunde Tiere bekommen hohes Fieber und magern ab. Eiter fließt aus den Augen. Ober- und Unterlippe schwellen an, schließlich der ganze Kopf. Darunter am Hals bilden sich Geschwülste, und nach 11-18 Tagen ist das Kaninchen tot. Doch Einzelne überleben, die resistent gegen die Krankheit sind. Die Erfahrung lehrt: Der Bestand wird sich sehr langsam erholen und wieder wachsen.

 

Erhebliche Verluste entstehen bei hohen Beständen auch infolge von Kokzidiose und Magenwürmern, durch Pseudotuberkulose, Staphylokokkose und Brucellose. Natürliche Feinde sind Habicht und Sperber für die Jungtiere, Fuchs und Dachs, die sich bis in die Kessel durchbuddeln, aber auch Marder und Wiesel. In manchen Gegenden lebt sogar der Waldmarder Iltis vorwiegend von jungen Kaninchen.

 

Über ein Jahrtausend hinweg sind Wildkaninchen zu einer liebenswerten heimischen Art geworden, die keiner mehr missen will, nicht zuletzt darum, weil die oft reichlich vorhandene Beute durch Jagd nicht zu gefährden ist und hervorragend schmeckt. Helfen kann man den Kaninchen vor allem durch Anpflanzen von Hecken mit reichlich Brombeeren, Himbeeren und Ginster. Davon profitieren dann auch viele andere Wildarten, denen der Lebensraum knapp wurde, vor allem die Vögel. Denn auch für jeden Tierfreund sind diese Mini-Osterhasen eine Bereicherung der Landschaft, und es macht Freude ihnen zuzusehen.